Teil-1 der Erzählung Das Gedicht des Trauerschwans 

( Die Liebe entsteht)


Liebe Freunde,


ich erzähle euch heute über meinen netten schwarzen Schwan. Leider kann ich nicht sehr viel von ihm erzählen, denn ich weiß nicht wirklich alles von seinem Leben. Ich kann zwar seinen zauberhaften Gesang als sehr schön und berührend empfinden, aber die Tiefe seiner Musik, ihre unglaubliche Schönheit und die feierliche Stimmung, die sie nachhaltend und weitergehend schafft, bleiben für mich trotz meiner geübten poetischen Wahrnehmungsfähigkeit unnachahmlich, beinah unbegreiflich und außerordentlich rätselhaft. Ich wusste zunächst auch nicht, ob er wirklich nur schwarz ist, weil er sich in seiner Musik anfänglich als Schwarz bezeichnete, oder ob er manchmal eine andere Farbe hat, etwa blau wie der Himmel oder vielleicht irdisch braun. Allerdings habe ich dann genau verstanden, welche Gefiederfarbe er tatsächlich hat. Diese Erkenntnis erlangte ich mit der Zeit. Wer von euch mitliest, wird vieles über die wirkliche Farbe meines Schwans erfahren, also beim weiteren Lesen auch im farblichen Vorteil sein.

Mein schwarzer bunter Schwan lebte für eine Weile allein. Sein Leben war ruhig und fein, seine ruhige Auseinandersetzung mit sich selbst und mit dem Leben um sich in dieser Phase seines Lebens erweiterte weiterhin seine Wahrnehmung und vertiefte zugleich sein Bewusstsein. Dabei nahm er auch wahr, dass andere ihn manchmal als „Trauerschwan“ bezeichnen. Und da schrieb er der Welt über sich Folgendes:


Der Trauerschwan

ist eine Vogelart

er ist sehr liebevoll, freudig und zart

aber weil er schwarz ist

haben wir ihn zu Unrecht verurteilt

daher nennen wir ihn den „Trauer...schwan”!

was hat er uns denn angetan ?


Einmal fragte ich ihn: „Du schreibst ja über dich, warum fängt das Gedicht dann nicht mit einem ‚Ich‘ an?“ Da sagte er mir:  „Nein !.. Ich rede nicht über mich allein, mein Herz liebt und empfindet das ganze Dasein.“ Dann schrieb er mir erklärend:


Der Trauerschwan

…ist manchmal weiß

und manchmal schwarz

und manchmal braun

es kommt darauf an,

wo er zu dieser Welt kam

und das Schmerzhafte daran ist

dass er nichts dafür kann.


Eines Tages tauchte eine nette Schwänin im Leben meines schwarzen Schwans auf. Sie kam aus einem anderen Land zu Besuch aufgrund einer Zusammenarbeit zwischen ihrem Land und dem Land von unserem Trauerschwan. Und weil unser Schwan auch so schön singen kann, war er ein Mitglied des Teams dieser Zusammenarbeit. Zwar fand er die Schwänin schon am ersten Tag der zeitlich befristeten Zusammenarbeit ganz nett, allerdings dachte er bewusst nicht sehr viel an sie, denn das Leben hatte ihm schon sehr viel beigebracht. Dazu gehörte, nicht immer so optimistisch zu sein, und zudem kam ihm der Gedanke, dass diese schöne Schwänin viel jünger ist als er, wobei er nicht wirklich sehr alt war. Trotzdem sagte er sich: Es wäre sehr schön, wenn ich diese nette Schwänin als einen guten Freund von mir gewinnen kann, mit dem ich ab und zu nett und liebevoll reden und mich austauschen kann. Außerdem sagte er sich: Diese schöne junge Schwänin ist weiß, ich aber bin nicht weiß! Zwar bin ich ein schöner Schwan, aber meine Hautfarbe ist braun. Sie arbeiteten gut zusammen und es war eine lebhafte Stimmung im ganzen Arbeitsteam. Die nette Schwänin fand ihn auch nett und redete gerne mit ihm – in der Tat haben alle im Team sehr freundlich und liebevoll miteinander geredet und sich ausgetauscht. Einmal fragte die Schwänin höflich und indirekt nach dem Alter unseres braunen Schwans. Ihre Wortwahl dabei war sehr anständig und freundlich. So fragte sie nicht etwa, wie alt er ist, sondern wie jung er geblieben war. Warum hast du bis jetzt keine Kinder und keine Frau – hat sie indirekt und zugleich in einer klugen Art gefragt. Daraufhin erzählte er ihr und den weiteren Mitgliedern des Teams einiges von seinen Gedanken und über sein Leben und warum er bei allem, was er erlebt hat, noch nicht die Chance hatte, eine Prinzessin für sich zu finden und eine Familie zu gründen. Alles lief schön und sanft ab, ohne dass unser Schwan sich wirklich in diese nette Schwänin verliebte.

Eines Tages während dieser schönen Zeit überraschte ihn die Schwänin mit einer liebevollen Bitte. Sie war am Tag davor nachmittags auf dem Markt und hatte sich ein kleines Souvenir von seinem Land gekauft und ihn gefragt, ob er ihr etwas auf dieses malen oder schreiben könne. Ihre Worte waren dabei so liebevoll, freundschaftlich und fein. Er hat das Souvenir mit beiden Händen entgegengenommen, so als ob er ein kleines Kind tragen würde. Dann sagte er:

„Ich werde gut auf dein Souvenir aufpassen!“

Auch sagte er ihr dabei, dass er nicht wirklich sehr gut malen könne, aber er würde seine Nichte, die gut malen kann, bitten, ihr etwas Schönes darauf zu malen. So ließ er sich etwas Schönes einfallen und bat seine Nichte, der liebevollen netten Schwänin Anemone-Blumen auf das Souvenir zu malen und noch zwei schöne Palmbäume. Trotz alledem war er aber noch nicht wirklich verliebt in die nette Schwänin. Denn auf sein Herz passte er immer sehr gut auf. Er nahm die Bitte von der Schwänin, auf ihr Souvenir etwas Schönes zu malen, wahr, so wie sie es nach seinem Verständnis gemeint hat – es war für ihn eine Handlung der Freundschaft. Eines Nachts, während die Schwänin noch zu Besuch in seinem Land war, passierte ihm etwas, das er immer noch nicht wirklich fassen kann. Er ging zu Bett, wollte schlafen, und bevor er einschlief, tat er das, was er immer vor dem Schlafen macht: sein Schlafritual. Dabei dachte er an all das Schöne im Leben – an seine Liebe für das ganze Leben und dann mit Freuden an den nächsten Tag. So schlief er ein, wachte dann jedoch zwei Stunden vor der Dämmerung plötzlich auf. Das, was ihn aufgeweckt hat, war das, was sein Leben danach geprägt hat. Es war wie ein Traum, aber dennoch kein wirklicher Traum, denn er hat nichts gesehen, während er geschlafen hat. Wach wurde er durch etwas, was er immer noch nicht verstehen kann. Schnell, blitzartig, aber auch ganz zärtlich und sanft wurde er aufgeweckt. Es war etwas Schönes, was nur für Millisekunden sein Herz berührte, aber als das passiert war, empfand er die schöne Seele der liebevollen Schwänin nicht nur in seinem Herzen, sondern er spürte auch, dass diese Seele die ganze Luft mit Liebe erfüllte. Es war wie eine Liebeswelle, die überallhin Liebe ausstrahlte. Zugleich hatte er das starke und tiefe Gefühl, dass diese Liebe sein Herz gezielt gesucht und berührt hat – es war keine Liebe, die er zuvor jemals erlebt bzw. von der er jemals erfahren hatte, sondern vielmehr eine wunderbare Liebe für alles Schöne im Leben und im ganzen Dasein, und es war die Seele dieser liebevollen Schwänin zur gleichen Zeit. Zudem bekam er das Gefühl, dass die nette Schwänin genau in diesem Moment das Gleiche erlebte, was er in diesen Millisekunden seines Lebens erlebt hat und ihm wurde bewusst, dass es kein Traum war. Er erlebte es in einer Übergangsschwelle zwischen Traum und Wachsein, denn als diese wundervolle Welle der Liebe sein Herz berührte, war er schnell und sanft aufgeweckt und fand sich mitten in dieser großen Welle der Liebe, die ihn großmütig und weitgehend umfing. Diese einzigartige Wahrnehmung verschwand auch nicht sofort, nachdem er aufgeweckt war, sondern er erlebte sie noch für Tage so wirkungsvoll und anhaltend, als ob er in eine andere schönere und traumhafte Welt versetzt worden war.

Nach diesem wundervollen Erlebnis wollte er nur noch zu der Schwänin, sie liebevoll umarmen und bei ihr sein, aber irgendwie kam er wieder zu seiner weltlichen Besinnung zurück und sagte sich:

„All das, was ich erlebt habe, sollte ich nur als Traum betrachten und so weiter leben und sein, wie ich bin und wie das Leben es mich gelehrt hat.“

An den darauffolgenden Tagen auf der Arbeit, die auch schon die letzten der befristeten Zeit waren, ging er wie gewohnt nett mit allen um. So überreichte er der Schwänin das schön bemalte Souvenir mit viel Liebe, aber er konnte ihr nichts über seine Gefühle ihr gegenüber und über das Unfassbare, was er erlebt hat, sagen. Er hatte sogar das Gefühl, dass die Schwänin, die er inzwischen als seine Herz-Prinzessin betrachtete, versuchte, Abstand von ihm zu nehmen. Obwohl er dies nicht verstehen konnte, störte es ihn auch nicht sehr – sein Geist war durch alles, was er in seinem Leben erlebt hat, sehr stark und geübt. Zudem wusste er bereits, dass es vieles im Leben gibt, das man nicht gleich verstehen kann. Trotzdem hat sein Herz sie von Weitem immer schön empfunden. Er mochte, dass sie lieb, nett, praktisch, ruhig, offen, direkt und unkompliziert war. Das war seine Wahrnehmung über ihre schöne bescheidene, aber zugleich selbstbewusste Persönlichkeit. Er hat sie für sich in seinen Gedanken folgendermaßen kurzgefasst – nett, liebenswürdig und stark.

So kam der Tag, an dem die Schwänin zusammen mit den weiteren Mitgliedern des Arbeitsteams zurück in ihr Land reisen sollte. Klar hatte er sich gewünscht, dass sie bleibt, aber ändern konnte er es nicht und bei dem Abschied ist wieder etwas passiert, was ihn sehr berührt hat: Die Schwänin weinte plötzlich. Er verstand an diesem Tag nicht, warum   sie geweint hat, denn die Stimmung war schön und man hatte nicht das Gefühl, dass es ein Abschied für immer sein würde. Die Schwänin sagte daraufhin, dass sie geweint hat, weil die Sonne plötzlich zu stark in ihre Augen schien – dies war allerdings nicht ganz nachzuvollziehen, denn es war ein schöner milder und etwas kühler Herbsttag. Die Herbsttränen seiner Prinzessin berührten ihn zutiefst und als er nach Hause ging, hatte er nur noch an seinen Traum gedacht, in dem er noch gelebt hat und noch bis heute lebt. So schrieb er über die Anemone-Blumen und über die Tränen seiner Prinzessin:


Die Anemone-Blumen sind ein Beispiel

der wirklichen Schönheit

sind sie schön und tapfer

lebensfreudig und willensstark

und trotz ihrer Stärke und ihrer Tapferkeit

sind sie sehr zart

und manchmal können sie auch weinen

wenn die Sonne

zu stark auf ihre Augen strahlt.